Winter. Ruhe.
Über das Loslassen im Herbst
Der Herbst ist gekommen. Erst schleichend, dann plötzlich. Die Tage verlieren an Farbe, die Luft an Wärme. Über der See hängt ein grauer Schleier, als hätte jemand den Sommer vergessen, ihn einzupacken, ordentlich zu verstauen, so wie man Segel faltet. Noch ein paar Möwen, ein letzter klarer Tag, und dann ist da dieses Licht, das nur der Herbst kennt – stumpf, silbern, ohne Versprechen.
Auch Miss Sophie hat ihre letzte Fahrt in diesem Jahr hinter sich. Von Eckernförde nach Kappeln, über die Förde, hinein in die Schlei. Der Wind war launisch, der Himmel durchsichtig wie Glas, manchmal mit einem Streifen Blau, dann wieder bleigrau. In Maasholm machten wir noch einmal fest. Fisch, Bier, Gespräch – der kleine Rückblick auf eine Saison, die keine rechte war. Ein Sommer, der sich nie entschied. Zwischen Sturm und Flaute, zwischen Pullover und Sonnencreme. Kein beständiger Wind, kein Rhythmus, nur das ständige Wechseln. Und doch: auch das ist Meer.
In diesen letzten Tagen liegt eine merkwürdige Ruhe in der Luft. Die Häfen sind stiller geworden, die Stimmen gedämpft. Andere Segler, die wir noch sehen, bewegen sich langsamer, fast vorsichtig, als wollten sie den Abschied hinauszögern. Auch die Schiffe treiben gemächlicher, ohne Eile, ohne Ziel. Man spürt: alle wissen, dass es die letzten Seemeilen sind – und segeln sie mit Zeit, mit Muße, mit dieser leisen Dankbarkeit, die sich am Ende einer langen Reise einstellt.
In Kappeln lag der Hafen still, fast leer. Die ersten Masten waren schon gefallen, die Boote auf Slipwagen gezogen, das Wasser spiegelte nur noch den Himmel, nicht mehr die Farben des Sommers. Wenn der Mast gelegt wird, klingt es immer ein wenig, als würde das Schiff seufzen. Als würde es verstehen, dass nun eine andere Zeit beginnt.
Das Abtakeln ist eine stille Arbeit. Taue lösen, Blöcke sichern, Segel einrollen, all die Handgriffe, die so vertraut sind, und doch jedes Mal Abschied bedeuten. Das Holz fühlt sich anders an, kälter, matter. Ein letztes Wischen über den Lack, dann kommt die Plane. Das Deck verliert seine Eleganz, der Rumpf verschwindet unter Stoff und Staub. Für ein paar Monate.
Man könnte traurig werden bei diesem Anblick. Und man wird es auch ein bisschen. Es ist, als lege man ein Stück des eigenen Sommers schlafen. Aber gleichzeitig wächst mit dem ersten Frost die Vorfreude. Auf das, was sich über den Winter tun lässt. Ein neues Stück Holz, das geschliffen werden will. Eine Leine, die ersetzt wird. Der Lack, der im Licht der Werkstatt glänzt. In diesen Momenten riecht alles nach Öl, nach Wachs, nach Salz, das sich in den Poren des Holzes hält.
Das Boot in der Halle ist ein anderes Boot. Es ruht. Kein Wind, kein Wellenschlag, nur das Echo der Schritte auf dem Betonboden. Und doch lebt es weiter – in Gedanken, in den Händen, die es pflegen. Es ist wie eine Pause zwischen zwei Atemzügen. Ein Innehalten, das dazugehört.
Vielleicht ist das das Schöne an der Wintersaison: Sie zwingt zur Langsamkeit. Das Meer darf sich erholen, die Boote auch. Und wir gleich mit. Im Winter lernt man, dass das Segeln nicht nur draußen stattfindet, im Wind und auf den Wellen, sondern auch drinnen – im Kopf, in der Erinnerung, in der stillen Arbeit an dem, was man liebt.
Manchmal schaue ich im Winter in der Halle vorbei. Nur kurz. Kein Werkzeug, keine Arbeit – nur, um da zu sein. Um den Geruch von Holz, Öl und Salz zu atmen. Dann weiß ich wieder, warum das alles Sinn ergibt.
Der Verkäufer meines ersten Schiffes sagte einmal: „Weißt du, es ist so mit den Schiffen – sie werden zu einem guten Freund, zu einem Gefährten. Und das Einzige, was sie wollen, ist Pflege. Ist sie gegeben, können sie hundert Jahre alt werden.“
Wenn der Frühling kommt, wird Miss Sophie wieder glänzen. Das Wasser wird sie tragen, als wäre nichts gewesen. Und dann, mit dem ersten Wind, ist der Winter vergessen – so wie jetzt der Sommer.