Leuchtturm.

Über das Essentielle im leben.

Es war ein stiller Nachmittag auf Norderney. Im Hafen lag Miss Sophie längsseits am Steg, das Wasser glitt träge unter dem Rumpf vorbei, Möwen zogen weite Kreise über den Masten. Die Sonne stand tief, aber sie wärmte noch, so wie es nur der Spätsommer kann – weich, beständig, ohne Eile.

Ich machte mich auf den Weg zum Leuchtturm. Der Pfad führte durch helle Dünen, zwischen Sanddorn und Dünengras, das sich leise im Wind bewegte. Von dort oben, wusste ich, konnte man fast die ganze Insel sehen – den Hafen, das Meer, die Linie des Horizonts, die sich im Dunst verlor.

Es war einer dieser Tage, an denen alles leicht scheint. Kein Grund zur Eile, kein Ziel, das drängt. Man spürt nur, dass man da ist – und dass das genügt. Vielleicht ist das, was die Philosophen „Essentialismus“ nennen, gar keine Idee, sondern ein Zustand. Ein inneres Aufräumen, bis nur noch das bleibt, was wirklich trägt.

Wir kommen mit nichts, und wir gehen mit nichts. Dazwischen aber füllen wir unser Leben mit Dingen, Terminen, Gedanken, als müssten sie uns sichern. Dabei sind es gerade die Momente der Leere, die den größten Reichtum in sich tragen. Oben am Turm, mit Blick auf das Meer, verstand ich das wieder ein Stück mehr. Der Wind ging gleichmäßig, das Wasser unten glitzerte, und für einen Augenblick war alles so einfach, so vollkommen im Gleichgewicht, dass man nichts hinzufügen konnte, ohne es zu stören.

Zurück im Hafen traf ich meine Bootsnachbarin. Sie saß auf dem Steg, barfuß, mit einer Tasse Tee in der Hand. Wir redeten über nichts und über alles – über das Segeln, das Wetter, über Orte, die man noch sehen wollte. Kein großes Gespräch, nur das sanfte Hin und Her, wie zwischen zwei Booten, die am selben Poller liegen.

Später, als die Sonne langsam hinter die Dächer der Stadt sank, saß ich an Bord und sah zu, wie sich die Masten in der Abendbrise bewegten. Es war ein friedlicher Moment. Kein Anfang, kein Ende – einfach ein Jetzt.

Boote, so habe ich mit den Jahren gelernt, sind wie Spiegel. Sie zeigen einem, wie wenig es braucht, um ganz zu sein. Wenn man sich um sie kümmert, halten sie still, tragen einen durchs Wasser, ohne zu fragen, wohin. Vielleicht ist das ihre stille Weisheit: Wer pflegt, bleibt. Wer leicht reist, kommt an.

Wir kommen mit nichts, und wir gehen mit nichts.
Aber dazwischen gibt es Tage wie diesen auf Norderney.
Mit Sonne, Wind, Salz auf der Haut – und das reicht.

 

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Winter. Ruhe.