Weniger Dinge, mehr Leben


Gedanken über ein
Low Maintance Life.

Ein Mann aus Vermont erzählte mir einmal, dass er irgendwann genug hatte vom Besitz. Nicht aus Überzeugung oder Ideologie, sondern aus Erschöpfung. Der Alltag war zu voll geworden – mit Gegenständen, Terminen, Erwartungen, Geräuschen. Und irgendwann kam der Moment, in dem er sich fragte: Was wäre, wenn ich einfach nur das behalten würde, was mir wirklich hilft, ruhig und zufrieden zu leben?

Seine Antwort war kein radikaler Rückzug, keine Hütte im Wald. Sondern eine schrittweise Umstellung. Auf ein Leben, das nicht ständig Pflege, Kontrolle und Aufmerksamkeit verlangt. Ein „Low Maintenance Life“, wie man es auf Englisch nennt – ein Leben mit geringem Wartungsaufwand. Der Begriff klingt technisch, fast unpersönlich. Doch er beschreibt etwas sehr Menschliches: Den Wunsch nach Einfachheit, nach Klarheit, nach mehr Raum zum Atmen.

Was folgt, ist eine Annäherung an diese Idee. Keine Anleitung, kein Modell. Nur Gedanken, Beobachtungen und vielleicht ein paar Impulse.

Besitz: Weniger Dinge bedeuten weniger Verantwortung

Die offensichtlichste Dimension eines „Low Maintenance Life“ ist materiell. Wer weniger Dinge besitzt, muss sich um weniger kümmern. Ein einfaches Prinzip. Und doch so schwer umzusetzen.  

Denn viele Dinge kommen nicht als Ballast daher. Sie sind Erinnerungen, Symbole, Hoffnungen. Dinge, die man sich „geleistet“ hat. Dinge, die uns ausmachen? Das Küchenutensil, das man „irgendwann“ benutzen will. Das teure Technikgerät, das zu schade ist zum Weggeben. Die Kleidung, die nicht mehr passt, aber mal gepasst hat (und zudem soooo teuer war). Doch jedes Ding, das in unserem Leben ist, nimmt Platz ein – nicht nur physisch, sondern auch mental. Es muss gelagert, geordnet, gereinigt, verwaltet, ersetzt oder entsorgt werden. Je mehr wir haben, desto mehr „Arbeit“ machen unsere Dinge – selbst wenn wir sie gar nicht aktiv nutzen.

Ein „Low Maintenance Life“ beginnt deshalb oft mit der Frage, welche Gegenstände man tatsächlich regelmäßig verwendet. Was davon dient einem klaren, aktuellen Zweck, was bringt Freude – und was ist einfach nur da, weil es schon immer da war? Es geht nicht um Verzicht im moralischen Sinne, sondern um bewusste Auswahl. Wer nur das besitzt, was er wirklich braucht, muss sich weniger kümmern – und hat mehr Energie für das, was bleibt.

Routinen und Zeit: Ein klarer Rahmen statt ständiger Taktwechsel

Auch unsere Zeit ist ein Raum, den wir gestalten. In einem Leben mit geringem Aufwand geschieht das durch verlässliche Strukturen und feste Rhythmen, nicht durch permanente Improvisation.

Viele Menschen erleben ihren Tag als eine Kette von Mikroentscheidungen. Wann beginne ich zu arbeiten? Was esse ich zum Frühstück? Wann mache ich Sport? Welche Nachrichten lese ich? Wann ist Zeit für mich? Jede dieser Entscheidungen kostet Aufmerksamkeit – und wenn sie zu viele werden, fühlen wir uns erschöpft, noch bevor der Tag richtig begonnen hat.

Ein Leben mit weniger Aufwand versucht, diese täglichen Entscheidungen zu vereinfachen. Wer beispielsweise seinen Tag immer zu einer ähnlichen Zeit beginnt, muss nicht darüber nachdenken, wann er aufsteht. Wer morgens dieselbe kleine Frühstücks-Routine pflegt – sei es Kaffee und Brot oder ein stiller Moment auf dem Balkon oder im Garten – schafft Verlässlichkeit, nicht Monotonie. Wer seine produktivsten Stunden kennt und sie regelmäßig für konzentrierte Arbeit nutzt, muss sich nicht immer neu sortieren. Und wer den Feierabend als festen, bildschirmfreien Abschnitt des Tages behandelt, schafft Raum für Erholung – ohne dafür erst eine Strategie entwickeln zu müssen.

In der Summe entstehen so Tage, die nicht weniger enthalten, aber einfacher strukturiert sind. Sie erlauben es, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Beziehungen: Qualität vor Quantität

Auch Beziehungen verursachen Aufwand – und das nicht im negativen Sinn, sondern schlicht als Realität. Jede Beziehung braucht Aufmerksamkeit, Pflege, Zeit. In einem „Low Maintenance Life“ geht es deshalb nicht darum, möglichst viele soziale Kontakte zu haben, sondern darum, die wenigen, wichtigen Verbindungen zu pflegen, die einem wirklich guttun.

Wer das eigene Leben vereinfachen möchte, beginnt oft damit, soziale Kontakte zu hinterfragen. Gibt es Menschen, die einem Energie rauben, statt sie zu geben? Gibt es Gruppendynamiken, in denen man sich eher verpflichtet als wohl fühlt? Wer ehrlich antwortet, merkt oft: Weniger ist hier mehr. Wenige Freundschaften, die auf gegenseitigem Verständnis und Vertrauen beruhen, können erfüllender sein als ein großer Bekanntenkreis, in dem man sich immer wieder anpassen muss.

Ein Leben mit geringerem sozialen Aufwand bedeutet nicht, sich zu isolieren. Es bedeutet nur, dass man sich vermehrt mit Menschen umgibt, bei denen man auch mal schweigen kann, ohne dass es unangenehm wird. Mit denen man wachsen, aber auch einfach nur sein kann. Beziehungen, die nicht ständig Aufmerksamkeit einfordern, sondern von Vertrauen und Echtheit getragen werden.

Emotionale Einfachheit: Klarheit im Inneren

Ein weiteres zentrales Element ist der Umgang mit den eigenen Emotionen – und mit den Emotionen anderer. Wer nicht jeden Konflikt mitträgt, nicht jede Aufregung übernimmt und nicht jede Meinung sofort an sich heranlässt, lebt ruhiger.

In einem „Low Maintenance Life“ bedeutet das: sich nicht mit allem zu identifizieren, was einem begegnet. Nicht jedes Problem ist das eigene. Nicht jede Anspannung muss übernommen werden. Wer sich klar abgrenzt – innerlich wie äußerlich –, bewahrt seine Energie. Das ist keine Kälte, sondern eine Form von Selbstschutz.

Gleichzeitig spielt der Umgang mit sich selbst eine zentrale Rolle. Emotionale Einfachheit heißt auch: sich selbst weniger zu verurteilen. Wer aufhört, sich ständig zu optimieren, zu vergleichen oder an äußeren Maßstäben zu messen, kann milder mit sich sein. Nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus Klarheit.

Diese Haltung erlaubt es, gelassener durch den Alltag zu gehen – ohne emotionale Übersteuerung, ohne Dauerstress, ohne das Gefühl, ständig etwas leisten zu müssen.
 

Finanzen: Klarheit statt Komplexität

Auch Geld kann Aufwand bedeuten. Nicht nur, wenn es fehlt – sondern auch, wenn es zu viel Raum im Denken einnimmt. Wer sich permanent Sorgen macht, sich verzettelt, Dinge kauft, die er nicht braucht, oder sich finanziell übernimmt, lebt nicht unbedingt „reich“, sondern oft unruhig.

Ein „Low Maintenance Life“ in Bezug auf Finanzen setzt auf Übersicht, auf Einfachheit und auf bewussten Konsum. Wer sich ein realistisches Budget setzt und daran hält, muss nicht ständig mit Geld kämpfen. Wer Dinge kauft, weil sie einen klaren Zweck erfüllen oder echte Freude bereiten, vermeidet Frustkäufe. Und wer seine Ausgaben regelmäßig reflektiert, hat die Chance, Überflüssiges zu streichen, bevor es belastend wird. 

Finanzielle Einfachheit bedeutet auch, nicht immer das Maximum zu suchen. Nicht jede Reise muss luxuriös sein, nicht jedes Gerät das neueste. Wenn das Geld dem Leben dient – und nicht umgekehrt –, wird vieles einfacher.

Gesundheit: Platz für das Wesentliche

In einem hektischen Alltag ist Gesundheit oft ein Nebenschauplatz – etwas, das man „auch noch unterbringen“ muss. In einem Leben mit weniger Aufwand ist sie integraler Bestandteil. Nicht als Pflicht, sondern als Selbstverständlichkeit.

Wer seinen Tag ruhiger strukturiert, kann ausreichend schlafen, ohne das Gefühl zu haben, etwas zu verpassen. Bewegung muss kein Fitnessplan sein – ein täglicher Spaziergang reicht oft schon, um den Körper zu aktivieren. Auch die Ernährung wird einfacher, wenn man nicht ständig zwischen Diäten, Superfoods und Empfehlungen schwankt. Eine ausgewogene, überwiegend natürliche Ernährung – ergänzt um das, worauf man wirklich Lust hat – genügt vielen Menschen vollkommen.

Gesundheit wird so zu keinem Projekt, sondern zu einem stillen Begleiter. Sie bekommt ihren Platz, weil der Tag diesen Platz erlaubt.

Technologie: Weniger Bildschirm, mehr Welt

Ein wesentlicher Bestandteil eines „Low Maintenance Life“ ist der bewusste Umgang mit Technik. Smartphones, Laptops, Tablets – sie alle haben ihre Funktion. Doch sie sind zugleich Dauerreize, Informationsquellen, Ablenkungsmaschinen.

Wer seinen digitalen Konsum reduziert, schafft wieder mehr Kontakt zur physischen Welt. Ein Spaziergang ohne Handy, ein Abend ohne Bildschirm, ein Gespräch ohne Blick aufs Display – all das sind einfache, aber wirkungsvolle Schritte zu mehr Ruhe.

Viele Menschen berichten, dass sie sich klarer, wacher und verbundener fühlen, sobald sie ihre Bildschirmzeit senken. Man muss nicht digital aussteigen. Aber man kann bewusste Pausen einbauen – und der analogen Welt wieder mehr Raum geben.

Perspektive: Die Haltung hinter allem 

Letztlich ist das „Low Maintenance Life“ keine Methode, sondern eine Haltung. Es beginnt mit der ehrlichen Frage, was man selbst vom Leben will – und was man nur tut, weil es erwartet wird.

Diese Haltung zeigt sich in der Fähigkeit, Grenzen zu setzen. In der Bereitschaft, im Moment zu leben, statt ständig in die Vergangenheit oder Zukunft zu springen. Und in der Entscheidung, nicht allem hinterherzurennen – weder Trends noch Meinungen noch Plänen, die nicht die eigenen sind.

Es geht nicht um Kontrolle, sondern um Klarheit. Um den Mut, das Unnötige loszulassen – und das Wichtige zu erkennen.
 

Ein Schlussgedanke 

Thoreau schrieb einmal, er sei in die Wälder gegangen, um bewusst zu leben – und nicht am Ende festzustellen, dass er nie gelebt habe. Vielleicht müssen wir heute gar nicht mehr in die Wälder. Vielleicht genügt es, im eigenen Alltag eine Sache weniger zu tun, eine Verpflichtung zu hinterfragen, ein Gerät auszuschalten.

Vielleicht ist ein einfacheres Leben näher, als wir denken. Und vielleicht beginnt es – ganz schlicht – mit einem Gedanken:


 

Was, wenn das Wenige genug ist?

Der Mann aus Vermont lebt heute in einem kleinen Haus mit einem winzigen Garten am Stadtrand. Er hat noch immer ein Auto, aber keinen Rasenmäher mehr. Statt der drei Kleiderschränke in seinem alten Haus besitzt er jetzt nur noch eine Kommode. Seine Küche ist übersichtlich, seine Abende sind ruhig. Statt Meetings hat er jetzt Rituale, statt ständiger Erreichbarkeit ein ausgeschaltetes Telefon ab 19 Uhr.

Er sagt, er habe nicht das Gefühl, weniger zu haben. Sondern eher das erste Mal das Gefühl, wirklich Platz zu haben – für Gedanken, für Gespräche, für sich selbst. Und manchmal, wenn der Wind durch die Bäume geht und die Morgensonne durchs Fenster fällt, denkt er daran zurück, wie voll sein Leben früher war – und wie viel leichter es heute ist, einfach da zu sein.

Nicht, weil er ausgewandert wäre. Nicht, weil er sich vollständig zurückgezogen hätte. Sondern weil er eines Tages beschlossen hat, dass ein gutes Leben nicht mehr Aufwand braucht – sondern weniger.

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Die Ostsee: Ein Meer mit sanfter Stimme